Leben mit einem fremden Organ

Vom Glück des Neuanfangs nach einer Organspende

So viel vorne weg. Ich führe kein Leben mit einem fremden Organ. Bisher besitze ich auch keinen Organspendeausweis. Und bis gestern ist mir noch nie Jemand persönlich begegnet, dem ein fremdes Organ transplantiert wurde. Nun habe ich gleich drei Menschen kennengelernt, die es ohne ein fremdes Organ wohl nicht mehr gäbe. Im Vortragssaal der Kassenärztlichen Vereinigung haben sie von ihrem Leben mit einem fremden Organ erzählt. Vieles davon war mir nicht neu. Denn in Deutschland wird oft über Transplantation und Organspende aufgeklärt.
Eine neue und sehr wichtige Erfahrung für mich war die unglaubliche Energie und Gelassenheit, mit der die drei Transplantierten ihre persönliche Geschichte erzählt haben. Das war authentisch und umwerfend berührend.
Ist es nun an der Zeit, dass ich einen Organspendeausweis auszufülle? Warum gehöre ich bisher nicht zu den Menschen, die sich entscheiden konnten, nach ihrem Tod ein Organ zu spenden? So wie viele andere denke ich aber hin und wieder über das Thema nach. Dennoch habe ich nicht endgültig dafür gesorgt, dass im Fall der Fälle Angehörige und Ärzte eine klare Entscheidung treffen können.

Kein Leben mit einem fremden Organ ohne Spender

Seit 2011 nimmt die Zahl derer, die bereit sind, ein oder mehrere Organe zu spenden, dramatisch ab. Auf einer Rangliste der Organe spendenen Länder liegt Deutschland abgeschlagen ganz weit hinten. Steht dahinter ein Entsolidarisierungsproblem, so wie Dr. Thomas Dietz vom Nierenzentrum Berlin vermutet? Sind wir Deutschen einander deutlich mehr egal als noch vor 10 Jahren?

Ich frage mich das nun stellvertretend für all die anderen Unwilligen. Dabei stelle fest, dass mich ein Unbehagen in beide Richtungen bisher von meinem Organspendeausweis abgehalten hat. Neben der Sorge als Ersatzteillager zu dienen, gibt es da noch ein anderes schwer zu ertragenes Gefühl. Schließlich braucht die Transplantation, die Leben rettet, vorab einen Toten. Dieser wiederum hat Angehörige. Die haben vielleicht so wie ich Angst davor, dass lebensrettende Maßnahmen  zugunsten eines anderen Menschen unterlassen werden könnten. Würden Ärzte zugunsten einer Organspende auf Kosten von Kranken entscheiden, die sie retten könnten? Ist eine solche Angst nicht mehr als paranoid? Gibt es nicht vielmehr hervorragende gesetzliche Regelungen zur Organspende, die für optimale Sicherheit und Transparenz sorgen? Auf diese Fragen gab es gestern keine Antworten.

Manch einer wartet Jahre auf eine Transplantation

In Deutschland warten rund 10.000 schwer kranke Menschen auf ein Spenderorgan, um zu überleben oder um ihre Lebensqualität deutlich zu verbessern. Etliche Organempfänger müssen Jahre „überbrücken“, bis endlich ein passendes Organ für sie gefunden ist. So erging es auch einer der beiden Patientinnen auf dem Podium in der KV Berlin. Heute lebt sie mit einer fremden Niere und strahlt eine fast grenzenlose Zuversicht aus. In Kürze wird sie ihre Ausbildung im medizinischen Bereich abschließen. Sie hat diesen Beruf gewählt, um etwas zurückzugeben. Denn sie hatte das Glück, rechtzeitig genug ein neues Organ zu bekommen.

Glück. Davon war an diesem Abend oft die Rede. Fast hatte ich das Gefühl, als müssten die anwesenden Protagonisten von der Moderatorin an die zurückliegenden Strapazen, die Wartezeit und „Zwischenlösungen“ wie ein Kunstherz oder die Dialyse erst erinnert werden. Die Freude über die wiedergewonnene Lebensqualität nach einer Transplantation war bei diesen Patienten beeindruckend nachhaltig. Ich konnte sie in jedem ihrer Worte spüren. Ebenso nicht zu überhören war, wie tief das Vertrauen ist, das Ärzte und Patienten miteinander aufbauen und pflegen müssen, damit das Leben mit einem neuen Organ die damit verbundenen Hoffnungen auch einlösen kann.

Mehr Wissen über das Leben mit einem fremden Organ

Auch Dr. Thomas Dietz, der in das Thema einführte, ist es zu danken, dass die fast zwei Stunden in der KV Berlin wie im Fluge vergingen. Der engagierte Nephrologe hat an der besonderen Brisanz des Themas keinen Zweifel gelassen. Verschiedene Fragestellungen hat er zwischen den persönlichen Erfahrungsberichten anschaulich erläutert. Vielen Dank auch an Simone Plake, seit seit knapp 15 Jahren für die KV-Sprechstunde verantwortlich zeichnet. Ihre Idee, Patienten und behandelnde Ärzte gemeinsam aufs Podium zu bringen, ist genau der richtige Weg, um das Thema an die Zuhörer zu bringen. Fachwissen und große Emotionen können Berge versetzen. Man bekommt Denkanstöße, die das eigene Leben in einem anderen Licht erscheinen lassen. Vielleicht nur für kurze Zeit. Möglicherweise aber lange genug, um uns von Ängsten und Vorurteilen zu befreien.

Ich hoffe sehr, dass die wenigen Besucher, die an diesem grauen Tag in die Masurenallee gefunden haben, ihren Freunden oder Angehörigen vom Vortrag erzählen werden. So wie ich es hier an dieser Stelle tue. Ich bin voller Hochachtung und Dankbarkeit für die drei Transplantierten und bewundere den alles andere als einfachen Weg, den sie mit ihren Ärzten gegangen sind. Für alle, die mehr wissen wollen: Hier geht es zum Organspendeausweis. Ganz wichtig: Sie teilen damit für den Fall der Fälle Ihre ganz persönliche Entscheidung mit. Also gegebenenfalls auch ein verbindliches: NEIN, ich möchte keine Organe spenden. Hier geht es zu Junge Helden und der schon etwas älteren Kampagne für den Organspendeausweis. Jürgen Vogel war daran beteiligt und sie ist noch immer sehr sehenswert.

Text: Gerburg Richter | Foto: https://de.fotolia.com