Menschen haben Krisen

Dem Pflegestützpunkt Berlin ist es zu verdanken, dass sich der Berliner Krisendienst am 22.02.2017 in der Ingeborg-Drewitz-Bücherei in Steglitz vorstellen konnte. Diplom-Psychologe Ulrich Klein, Leiter des Krisendienstes Berlin Süd-West, führte das Gespräch mit den knapp 10 Anwesenden. Den meisten erging es  wie mir. Entweder kannten sie den Krisendienst noch nicht oder sie hatten keine genaue Vorstellung davon, wie er funktioniert. Eigentlich ein Unding. Aber manche Sachen gehen an einem vorüber. Bis zu dem Tag, an dem es einen selbst betrifft. Bis zu dem Moment, an dem man Hilfe braucht und nicht weiß, wohin man sich wenden soll.„Menschen haben Krisen“ ist das Motto der Einrichtung, die seit 1999 besteht und in sechs Berliner Regionen / Bezirken neun Beratungsstellen betreibt. Wer sich in einer Krise befindet und nicht weiter weiß, kann täglich von 16 bis 24 Uhr in einer der Beratungsstellen anrufen oder sich direkt vor Ort einem Mitarbeiter anvertrauen.

Krisen sind keine Krankheit

Schon wie man eine Krise definiert, könnte unterschiedlicher nicht ausfallen. Das wurde im Gespräch mit den Anwesenden schnell klar. Was für den einen dem Weltuntergang gleichkommt, gehört für den Anderen zu den Stürmen des Lebens, denen man eben die Stirn bietet. Jeder Mensch gerät an anderen Punkten in eine Krise. Einsamkeit, familiäre Probleme, Trennung, Verlust, Suchtprobleme …Was im Fall einer solchen Krise passiert, ist im Kern vergleichbar. Wir verlieren Kompetenzen, die wir eigentlich haben. Der Blick auf unsere Möglichkeiten, in einer schwierigen Situation eine Lösung zu finden, ist komplett verstellt. Oder anders gesagt: Eine Krise ist gegebenen, wenn der Moment totaler Überforderung eintritt. Krisen sind also keine Krankheit, sondern vollkommen normal. Jeder von uns kann in eine akute seelische Krise geraten.

Auch der Berliner Krisendienst kann in einem solchen Fall natürlich keine einfachen Lösungen präsentieren. Probleme, die zu Krisen führen, lassen sich nicht mit einem Handschlag aus dem Weg zu räumen. Was der Krisendienst Menschen in Not bietet, ist trotzdem Gold wert. Denn hier trifft man im Moment der Krise auf Ansprechpartner, die für die Betroffenen da sind. Sie hören zu. So lange, wie es der Mensch am anderen Ende der Leitung es braucht. Schon allein dieses konzentrierte Zuhören gibt Halt. Das Gefühl, mit dem Problem nicht vollkommen allein zu sein, öffnet den Blick auf die eigenen Ressourcen und Kompetenzen.

„Ein Arzt ist meist … gar nicht nötig, denn eine Krise ist ja eben keine Krankheit … Es ist wichtig, Menschen in einer Lebenskrise schnell beizustehen, damit sich die Probleme nicht verstärken … Schon zwei oder drei Gespräche können jemanden emotional so weit entlasten, dass er die Situation aus eigener Kraft bewältigen kann.“ sagt Iris Hauth Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.

Anonyme und kostenlose Beratung

Das Angebot des Berliner Krisendienstes ist kostenlos und kann vollkommen anonym in Anspruch genommen werden. Ohne Chipkarte und ohne, dass eine Akte über den Fall anlegt wird, die Rückschlüsse auf die Identität des Anrufers oder Besuchers zulässt. Wer im Gespräch eher den Kontakt von Angesicht zu Angesicht braucht, der kann auch direkt und ohne Voranmeldung zu einer der Beratungsstellen des Krisendienstes gehen. Mitarbeiter für das Gespräch stehen an neun Standorten in der Stadt zur Verfügung.

2016 gab es mit dem Berliner Krisendienst 65.540 Kontakte. Dahinter verbergen sich allerdings nicht ebenso viele Hilfe suchende Personen. Es gibt Menschen, die nutzen das Angebot des Krisendienstes regelmäßig, andere machen in ihrem Leben nur einmal Gebrauch davon. Fest steht: Krisen sind zeitlich begrenzt. Ihr Ausgang ist offen. Nicht jede Krise ist zu bewältigen. Nicht aus jeder gehen wir gestärkt hervor. Was wir in existenziellen Krisen aber immer brauchen, sind professionelle Gesprächsangebote oder Auskünfte, die in der konkreten Situation weiterhelfen oder einen Weg hin zu einer konkret möglichen Hilfe aufzeigen.

Ein Beispiel das berührt

Auch Menschen in einem intakten und gut funktionierenden sozialen Umfeld können sich in Krisen vollkommen allein und hilflos fühlen. Ein Beispiel aus der Praxis hat alle Anwesenden sehr berührt. Es sei an dieser Stelle kurz nacherzählt: Ein älteres Ehepaar, beide schon über 80, lebte bis dato allein in den eigenen vier Wänden. Die Frau, etwas rüstiger als der Mann, versorgte und pflegte diesen. Eines Tages fand der Ehemann seine Frau überraschend tot im Bett und sich selbst in einer großen Panik wieder… Wer sollte ihn nun versorgen?

Ein Anruf beim Krisendienst brachte erste Hilfe und Erleichterung. Die kontaktierten Mitarbeiter schickten einen mobilen Einsatzdienst, der mit dem Witwer die wichtigsten Dinge vor Ort regelte und an seiner Seite blieb, bis weiter entfernt wohnende Angehörige die Betreuung und Fürsorge übernehmen konnten. Wären diese nicht erreichbar gewesen wären, hätte Niemand den Mann sich selbst überlassen. Irgend eine Lösung wäre gefunden worden, um in dieser existenziell bedrohlichen Situation zu helfen. Für all das mussten weder der Mann noch seine Familie finanziell aufkommen.

Berlin hat rund um die Uhr einen Krisendienst

An allen Standorten erhalten Sie telefonische und persönliche Beratung. Sie können hier weitere Gesprächstermine vereinbaren oder sich über Hilfsangebote informieren. In dringenden Fälle organisiert der Krisendienst Hausbesuche. Ein Arzt ist in Rufbereitschaft. Hier erreichen Sie den Berliner Krisendienst und finden weitere Informationen, die auch Ihnen im Fall der Fälle weiterhelfen.

Beitrag für meetmedi | Text: Gerburg Richter | Foto: https://pixabay.com